Der kaukasische Kreidekreis

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| Inhaltsangabe| | Entstehungsgeschichte| Analyse| Fragen| Eine Aufführung| Der chinesische Kreidekreis von Li Xingdao
 

Der kaukasische Kreidekreis ist ein erfolgreiches literarisches Werk mit gesellschaftlicher und menschlicher Absicht. Es ist so künstlerisch konstruiert und so einmalig angelegt, daß es das Publikum sehr anspricht. Auf anderen Seite ist das Stück auch ein Erzeugnis der Zeit gesellschaftlicher und politischer Konflikte. Eben deshalb wird das Stück beliebt und zugleich gehaßt.

Das Vorspiel ist der umstrittenste Teil des Stücks. Es bildet den Streit zwischen zwei örtlichen Gemeinden um ein Stück Land ab. Ihr Streit ist in Wirklichkeit aber kein wahrer Streit, weil das Ergebnis des Streites vom Anfang an schon da ist und es keine wahre Konfrontation gibt. Die Vernunft regiert und der Streit wird zur Befriedigung beider Seiten gelöst. Das Vorspiel ist in der Tat die Einführung zum eigentlichen Schauspiel von Kreidekreisfall der um ein Kind streitenden Frauen. Die westlichen Kritiker empfanden typischerweise das Vorspiel als lächerliche Propaganda für den Kommunismus. Deshalb die früheren Aufführungen im Westen übersprangen das Vorspiel und fingen unmittelbar mit dem eigentlichen Schauspiel an. Ironischerweise war das Vorspiel im Osten auch nicht bevorzugt. Nicht nur die Verbindung zwischen dem Vorspiel und des eigentlichen Spiels wurde als unglaubhaft betrachtet, die Art und Weise, wie der Streit im Stück gelöst wird, galt auch als utopisch und unrealistisch. Das Hauptthema des Stückes ist die Gerechtigkeit durch einen legendären Kreidekreisverfahren. Ähnliche Geschichten wie Kreidekreisverfahren finden sich auch im chinesischen Yuan-Drama Li Xingdaos, in der Bibel und in Geschichten der anderen Religionen. Die Gewinner in jenen Fällen waren doch biologische Mütter.

Brechts Kreidekreisverfahren beruht mehr in der Mütterlichkeit aufgrund der Menschheit und der gesellschaftlichen Beziehungen als die durch die Blutverwandtschaft bestimmte Mutterschaft.  Azdaks Urteil ist ja unverständlich in einem rein gesetzlichen Gesichtspunkt. Von einer menschlichen Perspektive aus ist das jedoch die einzige vernünftige Lösung.  Die Gerechtigkeitsfindung des Stückes ist deshalb gesellschaftlich begründet. Sie beruht auf Brechts utopischem (kommunistischem) Betrachtungsweise der Menschheit.

Azdaks  Rechtsprechung ist im allgemeinen deutlich parteiisch und richtet sich an Klassenprinzipien.  Die Leute, die zu höheren Klassen  gehören, wie z.B. der Gouverneur, seine Gattin, der Großfürst, der Fürst und Grundbesitzer sind vorbestimmte Verlierer hinsichtlich ihrer Rechtansprüche.

Azdaks Sympathie für die armen Leute auch entsteht aus seinem Abscheu vor reichen Leute höherer Klassen. Obgleich das Stück Brechts geniale literarische Technik zeigt, Azdak in allerbestem Licht darzustellen, darf man nicht übersehen, daß Brechts Gerechtigkeitsfinddung von seiner voreingenommenen "Parteilichkeit" bestimmt ist und die Rechte zu allen Menschen deswegen im Klasseninteresse verletzt werden.

Ein anderer Aspekt  des Stückes ist Brechts Kritik an allanwesender Macht des Geldes. Je höher moralische Qualität man hat, desto weniger wöchentlichen Lohn verdient man. Grusche verdient nur 2 Piaster in der Woche, womit man nur ein wenig Milch kaufen kann. Die Anwälte arbeiten nur für ihre Honoraren.  Die Panzerreiter sind auch nur fürs Geld da. Die Mutter des sterbenden Bauern, den Grusche zu heiraten angibt, fordert 400 Piaster dafür. Je höherer man in einer Hierarchie steigt, umso unglaublich höher wird der Gehälter. Millionen, die für Armee bestimmt sind, gehen direkt in die Taschen der korrupten Fürsten.

Der Protest gegen den Krieg ist ein anderes wichtiges Thema des Stücks. Die dramatische Situation des Vorspiels ist die Zerstörung des zweiten Weltkrieges. Grusches Verlobter Simon muß in den Krieg ziehen und sie verliert ihn nahezu. Mehrere Songs wie Azdaks Anti-Krieg-Song sind mit diesem Thema verbunden. Als Azdak in der Person des Großfürsten den Friedengeschwüre  der Fürsten verhöhnt, kommentiert er: "Fürsten kämpften, kämpften für Verträge der Kriegslieferungen."

Im allgemeinen ist dieses Stück eines erfolgreichsten jedoch umstrittensten Stücke unserer Zeit.